Die Innsbrucker Beratungsstelle für Sexarbeiter*innen (iBUS) hat in den letzten Tagen (20.10., 21.10. 2020) im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit ein Wandbild in der Anzengruberstraße erstellt, welches auf die schwierige Situation von Sexarbeiter*innen in der Pandemie aufmerksam machen sollte.
Gerade einmal 24 Stunden war das Wandgemälde am ehemaligen Straßenstrich zu sehen und hat die Gemüter offenbar schon so erregt, dass es braun übermalt wurde. Wir gehen davon aus, dass es religiös motivierte Menschen waren, die die Forderung nach Menschenrechten für Sexarbeiter*innen wohl so entsetzlich finden, dass man sie gleich wieder totschweigen muss. Denn Sexarbeit ist ein Thema, das die Gemüter erhitzt, aber gleichzeitig ein Tabu bleibt (und scheinbar bleiben soll).
Wir wollten das Unsichtbare sichtbar machen, aber es ist wohl so, dass es unsichtbar bleiben soll. Das Problem an dieser Verdrängung ist aber, dass die Sexarbeit auch unter der Decke jeglicher Moralvorstellungen und Gesetze weitergehen wird. Sexarbeit muss als soziale Realität wahrgenommen werden und Sexarbeiter*innen müssen das Recht haben, genau so wie andere ihr Leben selbstbestimmt und eigenverantwortlich gestalten zu können.
Wenn wir die Situation von Sexarbeiterinnen verbessern wollen, müssen wir wertfrei auf die Dienstleistungen blicken, nicht darüber urteilen, sondern zuhören, was die größten Probleme von Sexarbeitenden im Arbeitsalltag sind.
Aber die Akteur*innen erhalten keine Stimme, keine politische Macht, um ihre Interessen durchzusetzen. Gesetze werden über ihre Köpfe hinweg entschieden, als ob sie nicht selber wüssten, was für sie am besten ist. Religiöse, kulturelle und moralistische Vorstellungen, Stereotype, Gefühle und Emotionen übertönen immer wieder die jahrelangen Forderungen von Sexarbeiter*innenselbstorganisation, Aktivist*innen und Beratungsstellen. Genau diese moralistischen und paternalistischen Diskussionen verhindern das Gespräch über bessere Arbeitsbedingungen in diesem ohnehin von Stigmatisierung geprägten und prekären Arbeitsfeld.
Sexarbeit ist ein sehr polarisierendes Thema und immer wieder kontrovers diskutiert – im Zentrum der Diskussionen sollte jedoch immer die Selbstbestimmung und die Wahrung der Frauen- und Menschenrechte stehen – und keine Zensur von einem künstlerischen Wandbild, dass sich für genau diese einsetzt. Sexarbeit ist Arbeit – Solidarität statt Repression!
Hier die Pressemitteilung welche sich mit der Situation von Sexarbeiter*innen in der Pandemie befasst:
Sexarbeit und Corona
Im Rahmen der corona-bedingten kontaktreduzierenden Maßnahmen wurden im März europaweit Prostitutionsstätten geschlossen und die Ausübung sexueller Dienstleistungen verboten.
Erst im Juli war es in Österreich wieder möglich für Sexarbeitende ihrer Arbeit nachzugehen und sexuelle Dienstleistungen anzubieten – in den meisten Bundesländern in Deutschland erst ab September.
Während beispielsweise andere körpernahe Dienstleistungen wieder erlaubt waren und ab Mitte Mai Betriebsstäten (Tattoo-, Friseur-, Massage- und Kosmetikstudios) wieder öffnen durften, blieb Sexarbeit verboten – obwohl Hygiene-Konzepte vorgelegt wurden und die meisten Sexarbeiter*innen von staatlichen Hilfsprogrammen ausgeschlossen sind.
Die Schließungen und das Berufsverbot traf die Branche samt ihrer Akteur*innen mit voller Wucht. Durch die andauernde rechtliche Ungleichbehandlung fallen Sexarbeitende durch soziale Sicherungssysteme, werden als Infektionsüberträger*innen stigmatisiert, zunehmend kriminalisiert und in prekäre Bereiche verdrängt.
Sexarbeitende hofften, die gleiche finanzielle Unterstützung wie andere selbständige EinPersonen-Unternehmen zu erhalten. Sie erhielten jedoch kaum staatliche Unterstützung und nur sehr wenige Sexarbeitende erhielten Soforthilfe über den Härtefallfonds obwohl sie Steuern zahlen und pflichtversichert sind. Im Zuge der Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie wirkte sich die andauernde rechtliche Ungleichbehandlung gegenüber anderen Berufsbranchen massiv aus. Vielen Sexarbeitenden blieb letztlich nur die Beantragung der Mindestsicherung, der Verbrauch privater Vorsorgen oder die Unterstützung durch Kredite oder Dritte. Wo keine dieser Optionen vorhanden war, sahen sich Sexarbeitende gezwungen, trotz des Verbots in der Sexarbeit tätig zu sein. Hierbei drohten ihnen schon bei Erstverstoß Bußgelder in mittlerer vierstelliger Höhe.
Die derzeitige Verdrängung in die Illegalität hat fatale Folgen: Hier sind Sexarbeitende derzeit weitgehend isoliert, verfügen durch finanziellen Druck über geringere Verhandlungsmacht gegenüber Kund*innen und sind der Repression durch die Exekutive ausgesetzt.
Im Zuge der prostitutionspolitischen Auseinandersetzungen der letzten Monate wurden Sexarbeitende darüber hinaus etliche Mal von Verantwortlichen aus der Politik und den Medien als‚ epidemiologische Superspreader‘ stigmatisiert. Abolitionist*innen und Prostitutionsgegner*innen forderten mit dieser Begründung sogar die dauerhafte Aufrechterhaltung der pandemiebedingten Einschränkungen und ein Sexkaufverbot angelehnt an das schwedische Modell. Zudem ist der Superspreader-Vorwurf wissenschaftlich nicht belegbar und Sexarbeitende weisen laut bestehendem epidemiologischen Fachwissen kein per se höheres Infektionsrisiko auf als Personen, die unbezahlt Sex haben. Auch kam es bisher in Bordellen zu keinen Clustern.
Die Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen als Infektionsquellen und Gefährderinnen der öffentlichen Gesundheit hat eine hoch problematische Komponente und historische Kontinuität. Ein Beispiel für verwaltungsbehördliche und exekutive Gewalt an Sexarbeiter*innen in diesem Zusammenhang gibt es auch auf lokaler Ebene. Unter anderem wurden in Innsbruck 2016/2017 unzählige Sexarbeiter*innen aus dem illegalisierten Bereich mit dem Vorwand „Gefährdung der Volksgesundheit“ (ohne Vorliegen und Evidenz einer übertragbaren Krankheit) aus Österreich abgeschoben und es wurden mehrjährige Aufenthaltsverbote verhängt.
Durch die sich verschärfende Prekarisierung nehmen wir ein drastisch erhöhten Beratungsbedarf wahr, bei zugleich zunehmender Perspektivlosigkeit der individuellen Fälle. Die allgemeine Krisenstimmung dieser Zeit, berufliche Planungsunsicherheit, die gesundheitliche Bedrohung durch den Virus, existenzielle Ängste und die Furcht vor dem nächsten Berufsverbot und den miteinhergehenden Einkommensverlusten, die drohende oder bereits vorhandene wirtschaftliche Notlage, Isolation und Befangenheit was ein Zwangs-Outing vor Behörden und sozialen Kontakten betrifft, die gesellschaftliche Stigmatisierung die mit dem Beruf einhergeht und durch die Pandemie nur noch verstärkt wurde.
Gerade in Krisenzeiten braucht es für die Kämpfe und Forderungen marginalisierter und benachteiligter Gruppen Anerkennung und Solidarität anstatt Repression, Stigmatisierung und Kriminalisierung.
Sexarbeit ist Arbeit – Solidarität statt Repression!
Im Rahmen des von der TKI 19 geförderten Projekts “Sex Publica. Öffentliche(r) Sex(ualität)” und der freundlichen Genehmigung der ÖBB hat iBUS in den letzten Tagen ein Wandgemälde an der Bahnunterführung Mitterweg gestaltet.
Das Bild stellt die gesellschaftliche Doppelmoral im Umgang mit Sexarbeit dar. Früher standen hier Sexarbeiter*innen, jetzt arbeiten diese im Versteckten und unsichtbaren Bereich. Das Bild zeigt 4 Frauen mit rotem Regenschirm, der symbolisch für die Sexarbeiter*innenbewegung steht, welche für die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit und gegen die Stigmatisierung von Sexarbeit kämpft.
Innsbruck, am 17.7.2019
Schöpfstraße 19
6020 Innsbruck
Telefon / Whatsapp: +43 660 4757 345
E-mail: ibus@aep.at
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